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Lehrstuhl für vergleichende Sprachwissenschaft

Thiago Mendes Venturott, M.A.

Personalseite

Die ápa-√yaj-Konstruktion: unselegierte resultative Partikelverbkonstruktionen im Griechischen, Indoiranischen und anderen altindogermanischen Sprachen

Untersucht werden soll eine bislang unerforschte Sonderkategorie von Partikelverben, die sich dadurch auszeichnen, dass sie ein durch das entsprechende Simplex unselegierbares Objekt selegieren und dabei einen mittelbar bewirkten Orts- bzw. Zustandswechsel des Objekts ausdrücken. Das Objekt wird meistens als Folge der durch das Simplex ausgedrückten Handlung aus dem Bereich des Sprechers entfernt oder dorthin gebracht, vernichtet oder erzeugt, ohne direkt durch sie affiziert zu werden. Das betreffende Phänomen fällt unter die von Goldberg & Jackendoff (2004) als ‚unselegiertes Resultativum‘ bezeichnete Konstruktion und ist in modernen germanischen Sprachen möglich, etwa im Deutschen:

a. Der Mann hatte das Geld halb vertrunken.
                                                                   (Der Tagesspiegel, 04.01.2002)
b. Die Verstorbenen lassen sich herbeitrommeln und herbeisingen.
                                                                   (Die Zeit, 13.10.2008, Nr. 41)

In diesen Beispielen würde das Entfernen der Partikel die Ungrammatikalität der Konstruktion insofern nach sich ziehen, als das Simplex das durch die Partikelverbkonstruktion selegierte Objekt nicht selegieren kann:

a. *Der Mann hatte das Geld halb getrunken.
b. *Die Verstorbenen lassen sich trommeln und singen.

Mag das Vorhandensein des Typus in modernen germanischen Sprachen den Eindruck erwecken, Ausdrücke dieser Art seien belanglos, wird dies durch die typologische Evidenz widerlegt: Die Möglichkeit dieser Ausdrucksweise ist eine sprachliche Besonderheit und etwa in modernen semitischen und romanischen Sprachen nicht gegeben (Goldberg 1995; Talmy 1985, 1991, 2000). Somit ist das Vorhandensein derartiger Partikelverben in einer gegebenen Sprach(famili)e von allgemeinerer Bedeutung und untersuchungsbedürftig.

Im Bereich der altindogermanischen Sprachen ist die Existenz von Bildungen dieser Art im Indoiranischen von Forssman (2000) nachgewiesen worden, der gemeiniir. ved. ápa-√yaj- = av. apā-√yaz- ‚wegopfern‘, d.h. ‚durch Opfergabe beseitigen / fortschaffen‘ zum Paradebeispiel kürt:

PS 19,23,5                     ye te pāśā ekaśataṃ               mṛtyo martyāya hantave |
tāṃs te yajñasya māyayā               sarvāṃ apa yajāmasi ||
                                  „Die 101 Fesseln, die für dich, o Tod, dem Sterblichen Tod bringen — diese opfern wir dir durch des Opfers Zauberkraft alle hinweg.“ (nach Forssman 2000)
 
Y 33,4 yə̄. ϑβat̰. mazdā. asruštīm. akəmcā. manō. yazāi. apā.
  „Der ich von dir, Mazdā, den Ungehorsam und das böse Denken hinwegverehren
will“ (nach
Forssman 2000)

Mehrere andere Beispiele finden sich im Ṛgvedischen, nicht selten in seriellen Konstruktionen, etwa: 

ṚV 1,97,1 ápa naḥ śóśucad aghám               ágne śuśugdhí ā́ rayím |
ápa naḥ śóśucad aghám ||
  „Das Übel von uns hinwegflammend, flamme uns Reichtum zu, Agni
— das Übel von uns hinwegflammend!“ (Geldner 1951)

Hier wird Agni gebeten, das Übel hinwegzuflammen (: ápa-√śoc-) und Reichtum herbeizuflammen (: ā́-√śoc-), d.h. durch sein Flammen das Übel auszulöschen und dem Sänger Reichtum zu verschaffen.

Auch im Griechischen ist die Konstruktion keineswegs ungewöhnlich, wenngleich ihrer Existenz m.W. von nur Wackernagel (1924: 180f.) Beachtung geschenkt wurde, und dies auch nur kursorisch. Wackernagel macht auf die merkwürdige Syntax folgender Herodotstelle aufmerksam:

Hdt. 6,129,4 παῖ Τισάνδρου, ἀπορχήσαό γε μὲν τὸν γάμον. (Kleisthenes zu Hippokleides)
  „Sohn des Tisandros, ausgerechnet du hast deine Heirat vertanzt.“

Hier beteuert Kleisthenes, Hippokleides, der Sohn des Tisandros, habe durch die Aufführung schamloser Tanzschritte jegliche Aussicht auf eine Heirat mit seiner Tochter verloren. Die Konstruktion dürfte wohl schon bei Homer zu finden sein, etwa:

A 124f. οὐδέ τί που ἴδμεν ξυνήϊα κείμενα πολλά•
ἀλλὰ τὰ μὲν πολίων ἐξεπράθομεν, τὰ δέδασται. (Achill zu Agamemnon)
                                  „Wissen wir doch nicht, dass irgendwo viel Gemeingut liegt, sondern was wir von den Städten erplünderten: aufgeteilt ist es.“ (nach Schadewaldt 1976)

Das Simplex πέρθω heißt ‚plündern‘, das Partikelverb ἐκπέρθω an dieser Stelle dagegen ‚erplündern‘, d.h. ‚durch Plünderung erwerben‘. Produktiv geworden zu sein scheint die Konstruktion allerdings erst zur Zeit Herodots.

Ferner ist das Phänomen auch im Italokeltischen anzutreffen. Das früheste bekannte lateinische Beispiel findet sich im Zwölftafelgesetz (5. Jh. v. Chr.) und lautet:

Tab. 8,8a Qui fruges excantassit[ei, qui hoc fecerit, supplicium constitutum].
  „Wer Feldfrüchte weggesungen hat … [dem, der dies tut, kommt die
schwerste Strafe zu]
.“

Hier bezeichnet excantāre das strafbare Entfernen der Früchte von fremdem Feld durch magischen Gesang.

Die geplante Arbeit wird sich auf ähnliche Weise verhaltende Partikelverben in unterschiedlichen Sprachen der Indogermania aufzeigen und den Typus im Griechischen von Homer bis zum Neuen Testament und in einem Teil des Indoiranischen (Ṛgvedisch und Avestisch) ausführlich behandeln. Dem einzelphilologisch anzulegenden Teil der Arbeit sollen ein stärker theoretisch auszurichtender allgemeiner Teil vorausgehen und ein diachroner Ausblick in den einzelnen Sprachzweigen folgen. Eine theoretische Auseinandersetzung ist angesichts der sich bzgl. des Typus stellenden Probleme definitorischer Natur geboten; der vorgesehene diachrone Ausblick dagegen ergibt sich aus dem unterschiedlichen Schicksal des ápa-√yaj-Konstruktionstypus in den Einzelsprachen: In einigen Sprach(zweig)en (etwa dem Romanischen und Griechischen) war der Typus einst produktiv und wurde später ganz oder teilweise aufgegeben, während er in anderen Sprach(zweig)en (etwa dem Germanischen und Baltoslawischen) angesichts des Fehlens einschlägiger Partikelverben in den früheren Sprachstufen erst später möglich geworden zu sein scheint. Typisierungsmöglichkeiten sind im Laufe der Untersuchung ausfindig zu machen. Zum Schluss sind Hypothesen zum Entstehen des Typus sowie zu seiner Entwicklung in den Einzelsprachen aufzustellen, begleitet von einer auswertenden Diskussion der Ergebnisse.

Zitierte Literatur

Forssman, B. (2000). „Yungavestisch vīuuāiti Yt 8,40.“ In: B. Forssman & R. Plath (Hgg.), Indoarisch, Iranisch und die Indogermanistik. Arbeitstagung der Indogermanischen Gesellschaft vom 2. bis 5. Oktober 1997 in Erlangen. Wiesbaden.

Geldner, K. F. (1951). Der Rig-Veda. Aus dem Sanskrit ins Deutsche übersetzt und mit einem laufenden Kommentar versehen (3 Bde.). Cambridge, Mass.

Goldberg, A. (1995). A Construction Grammar approach to argument structure. Chicago.

Goldberg, A. & R. Jackendoff (2004). „The English resultative as a family of constructions.“ Language 80 (3): 532–68.

Schadewaldt, W. (21976), Homer. Ilias. Frankfurt am Main.

Talmy, L. (1985). „Lexicalization patterns: semantic structure in lexical forms.“ In: T. Shopen (Hg.), Language typology and syntactic description. Cambridge: 57–149.

Talmy, L. (1991). „Path to realization: A typology of event conflation.“ In: C. Johnson, L. A. Sutton & R. Shields (Hgg.), Proceedings of the Seventeenth Annual Meeting of the Berkeley Linguistics Society. Berkeley: 480–519.

Talmy, L. (2000). Toward a cognitive semantics (2 Bde.). Cambridge.

Wackernagel, J. (1924). Vorlesungen über Syntax. Mit besonderer Berücksichtigung von Griechisch, Lateinisch und Deutsch (Bd. II). Basel.