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MUS-IC-ON

Keltische Carnyx

Langes Rohr mit Wildschweinskopf – wie wurde das gespielt?

Zeugnisse dokumentieren die Existenz und den Einsatz von Blechblasinstrumenten in Europa seit etwa 7000 v. Chr. Da man die Bindung an ältere Gestalten, etwa von Naturhörnern, dennoch nicht ganz aufgeben wollte, entstand ein Nebeneinander von Altem und Neuem. Dies zeigen am deutlichsten die bronzezeitlichen irischen Hörner: Hier gibt es neben den seitengeblasenen Instrumenten auch endgeblasene.

Diese Dualität wurde in den verschiedenen Gesellschaften auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck gebracht. Ein Beispiel sind die skandinavisch-baltischen Luren, die häufig als Paare mit Rechts- und Links-Ausrichtung gefunden wurden.

Es wird darüber spekuliert, wie Blechblasinstrumente in der Antike gespielt wurden. In den 1970er Jahren gelang es experimentell zu demonstrieren, dass sie für das Spiel mit variabler Klangfarbe geeignet sind: Es scheinen Instrumente gewesen zu sein, die vergleichbar dem australischen Didgeridoo gespielt wurden. Dass eine solche Spielpraxis für die europäische Antike nicht dokumentiert ist, darf nicht verwundern, da über die Aufführungspraxis von Blechblasinstrumenten nichts schriftlich bezeugt ist. Ein Reisender aus dem 19. Jahrhundert berichtet von seinen Erkundungen in den Regionen Afrikas südlich der Sahara vom Spiel mit variablen Klang. Instrumente, die ein solches Spiel nahelegen, gab es wohl bereits im bronzezeitlichen Europa wie die großen eisenzeitlichen Bogen-Hörner.

Instrumente, die für das Spiel mit variabler Klangfarbe geeignet sind, kennt man auch aus den Mittelmeerkulturen. Eine Bronzestatuette aus Kampanien (Italien), die den Spieler einer italischen Trompete zeigt und sich heute im British Museum von London befindet, legt eine solche Spielweise nahe. Die eisenzeitlichen Carnyces aus Tintignac (Frankreich) und Sanzeno (Italien) repräsentieren einen anders gestalteten, aber organologisch vergleichbaren Typ von Blechblasinstrumenten. Auch diese Instrumente weisen einen großen Durchmesser im gesamten Windkanal auf, was auch sie für das Spiel mit variablen Klangfarben geeignet erscheinen lässt.

Diese Carnyces, so sehr sie sich in systematischer Perspektive ähneln, unterscheiden sich in ihrer Herstellungstechnik. Zwei von ihnen verfügen über gegossene Schalltrichter, bei allen anderen Instru-menten sind die Schalltrichter aus Walzblech hergestellt. Auch die letzteren sind wieder unterschiedlich gebaut: Während der Schalltrichter in Schlangenkopfgestalt genietet war, wurden die anderen Blech-Schalltrichter verlötet. Wichtig war bei der Carnyx offenbar die Tiergestalt des Trichters. Die Herstellungsweise war wohl sekundär. Die Ikonographie zur Carnyx gibt ein anderes Bild. Die Funde von Tattershall Ferry in Lincolnshire (Großbritannien) und Leisach (Osttirol) weisen ähnliche Formen auf, wie sie in der zweidimensionalen Wiedergabe auf dem Gundestrup-Kessel zu sehen ist: ein Instrument, das wohl überwiegend melodisch gespielt wurde. Meine eigenen Nachbauten der Tattershall Ferry Carnyx legen nahe, dass ein solches Spiel auf dem Instrument möglich war.

Peter Holmes

Lesen Sie in unserem Begleitband zur Ausstellung weiter über den interkulturellen Austausch bei den Bautechniken von Blechblasinstrumenten in der Bronzezeit im Beitrag von P. Holmes : Hörner und Trompeten aus der Frühgeschichte Europas: Rekonstruktion, Spielweise und Klang von Blechblasinstrumenten, in: F. Leitmeir, D. Shehata, O. Wiener (Hg.), MUS-IC-ON! Begleitband zur Ausstellung im Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg 10. Dezember 2019 bis 12. Juli 2020, Würzburg 2019, S. 27–35.