Intern
Lehrstuhl für Indologie

Sakralität

Diskurse und Konzepte von Sakralität und Sakralisierung im hinduistischen Großreich von Vijayanagara und in portugiesisch Goa (14.-17. Jh.)

Projektleiterin:

Prof. Dr. Karin Steiner

Mitarbeiter:

  • Dr. Matthias Ahlborn
  • Sebastian Stinzing, M.A.

Projektlaufzeit:

2011 - 2018

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Der Lehrstuhl für Indologie beteiligt sich mit einem umfangreichen Teilprojekt an der interdisziplinären DFG-Forschergruppe, die an der Universität Erlangen angesiedelt ist. Eine Grundannahme der Forschergruppe ist, dass man Sakralisierung als einen Zuschreibungs- und Inszenierungsprozess verstehen sollte, der je nach historischem und kulturellem Kontext sehr unterschiedliche Formen und Inhalte annehmen kann. So wurde in vormodernen Gesellschaften Europas und Asiens der sakrale Charakter von Handlungen, Objekten, Räumen und Personen immer wieder behauptet, aber auch bezweifelt und abgelehnt. Sakralität wurde selten klar definiert, sondern war vielmehr umstrittener Gegenstand stets neuer Aushandlung. In dieser Sichtweise ist Heiligkeit nicht nur abhängig von kontingenten historischen Prozessen sondern auch von unterschiedlichen bzw. sich wandelnden philosophisch-theologischen Konzepten, mittels derer sich Heiligkeit konstituiert.

Aus diesen Grundannahmen ergeben sich folgende konkrete Fragen: Wie gestalten sich die Vorstellungen davon, was oder wer „heilig“ ist? In welcher Weise kann eine Person, ein Konzept oder Objekt „heilig“ werden? Wie ändert sich der Umgang mit Heiligen und Heiligenkulten? Wie sieht das "Weltbild" aus, vor dessen Hintergrund es möglich ist, dass manche Menschen heilig sind und andere nicht? Wie schlägt sich Sakralität in Texten und Bildern, in Architektur und Raumgestaltung, in Personenkulten und Herrschermodellen oder in performativen Akten (Prozessionen, Wallfahrten, Ritualen etc.) nieder?

Wie bei vielen im Westen entwickelten Konzepten stellt sich auch bei Sakralität/Sakralisierung das Problem der Übertragbarkeit auf einen anderen Kulturraum bzw. hier: auf vormoderne hinduistische Traditionen. Ein indigener Begriff, der alle Phänomene und Konzepte umschließt, die man aus etischer Perspektive mit den Leitbegriffen Sakralität/Sakralisierung erfassen könnte, existiert nicht. Dennoch scheint es zulässig, das Konzept im hinduistischen Kulturraum anzuwenden, da es Erscheinungsformen gibt, die dem entsprechen, was in der christlich geprägten Kultur des vormodernen Westens mit Sakralität assoziiert wird. Auch wenn die Annäherung nicht über einen dem westlichen „Sakralität“ entsprechenden indigenen generischen Begriff erfolgen kann, ist es Ziel des Projekts, Beschreibungskriterien sakraler Phänomene zu entwickeln, die zu einer kontextabhängigen, relationalen und dynamischen „Definition“ dieser Phänomene beitragen können.

Erscheinungsformen von Sakralität und Dynamiken ihrer Entwicklung werden im historischen Rahmen des südindischen Reiches von Vijayanagara sowie in Textquellen aus dem geistigen Umfeld des Klosters Sringeri, das zeitweise eng mit dem Vijayanagara-Herrschern verbunden war, untersucht. Das hinduistische Reich entwickelte sich ab dem 14. Jahrhundert zu einer ganz Südindien umfassenden Großmacht, während weite Teile Indiens von muslimischen Sultanen beherrscht wurden. Die Kulturpolitik der Herrscher und intellektuellen Elite von Vijayanagara ist gekennzeichnet durch eine Renaissance der Sanskrit-Literatur, hinduistischen Philosophie, Kunst und Architektur. Philosophen, religiöse Führer und Institutionen unterschiedlichster inhaltlicher Ausrichtung konkurrieren um die königliche Patronage. Die Analyse konzentriert sich auf personen-, text-, raum-, bild- und konzeptbezogene sakrale Phänomene und deren Repräsentation in Texten und postuliert drei Modelle von personaler Sakralität: Das königliche Modell (1) betrifft neue Formen der Sakralisierung von Herrschaft und Königtum. Das monastisch-asketische Modell (2) wird in der Person brahmanischer „Asketen-Heiliger“ aufgezeigt, die als geistige Lehrer der Herrscher und produktive Autoren erheblichen Einfluss ausüben. Das philosophisch-theologische Modell (3) schließlich kommt insbesondere im Konzept des „Lebend-Befreiten“ zum Ausdruck, wie es im illusionistischen Monismus, führende philosophische Schule in der Frühphase des Reiches, entwickelt wird. Das Vorhaben untersucht Funktionsweise und Zusammenwirken der drei Modelle zur Neuformierung gruppenspezifischer religiöser Identitäten, die jeweils nach Dominanz streben und sich in späterer Zeit zunehmend als vermeintliche „Hindu-Identität“ an sich gerieren. Diese Entwicklungen werden in Beziehung zu vergleichbaren Prozessen im europäischen Mittelalter gesetzt. Durch die Einbeziehung portugiesischer Texte aus dem 15.-17. Jh. wird ergänzend eine katholisch geprägte Außenperspektive auf indisch-hinduistische Repräsentationen von Sakralität aufgezeigt und somit eine weitere vielversprechende Schnittstelle mit der Forschergruppe eröffnet.

Discourses and concepts of sacrality and sacralisation in the Hindu empire of Vijayanagara and in Portuguese Goa (14.-17. CE)

Instances of sacrality and dynamics of their development are examined within the historical context of the South Indian empire of Vijayanagara. Textual sources from the intellectual environment of the Sringeri monastery, which at times maintained close links with the Vijayanagara rulers, are studied in detail. From the 14th century onwards, this Hindu kingdom developed into an empire which spanned the entire South of the subcontinent while large parts of India were ruled by Muslim sultans. The cultural policies of the Vijayanagara rulers and their intellectual élite are marked by a renaissance of Sanskrit literature, Hindu philosophy, art and architecture. Philosophers, religious leaders and institutions with a broad range of concerns vied for royal patronage. The analysis concentrates on a number of sacral phenomena and their representation in texts. The sacral phenomena are those that concern persons, texts, space, visual representations and concepts. The analysis further postulates three models of personal sacrality: the “royal model” (1) refers to new forms of the sacralisation of power and kingship. The monastic-ascetic model (2) is exemplified in the person of brahmin “ascetic saints” who exert considerable influence as spiritual teachers of the rulers and as prolific authors. Finally, the philosophical-theological model (3) is particularly expressed in the concept of the “liberated while living” as developed in illusionist monism which was the leading philosophical school in the early phase of the empire.

The project examines how the three models function and combine in the formation of group-specific religious identities, each of which strives for domination and which present themselves as supposed “Hindu identity” as such. These developments are put in relation to comparable processes during the Middle Ages in Europe. By incorporating Portuguese texts from the 15th to 17th centuries a supplementary and essentially Catholic outsiders` perspective on Indian and Hindu forms of sacrality is demonstrated, and another promising interface with the research group is opened.