Intern
Lehrstuhl für Europäische Ethnologie / Empirische  Kulturwissenschaft

Beinbrecher, Hexengitter, Laurentiusrost

Reste populären Glaubens historischer Alltagswelt?

Stellt man sich einen Friedhof vor, so hat man diesen wohl eingefasst vor Augen. Dass hinter den Einfassungen weniger ästhetische als vielmehr schützende Funktionen stehen, mag vermutlich weniger bekannt sein.

Zentrale Motivation, Friedhöfe – früher als Kirchhöfe bezeichnet von der Außenwelt abzutrennen war es, eine Schwelle zwischen den Lebenden und den Toten zu schaffen und die Toten auf dem Friedhof zu bannen (Sörries 2016: 13). Wichtig war daher, ein voll eingefasstes Gelände zu haben, das als schützender „Kreis“ die Toten auf dem Friedhof bannte. Der Eingangsbereich war daher als Öffnung bzw. „Schwelle“ besonders bedeutend und dem entsprechend zu gestalten (Çakır 2017: 20). Verschließbare Eingänge stellten aufgrund ständiger Zugangsmöglichkeit für Asylsuchende keine Option dar. Aus diesem Grund hob man häufig eine Grube aus, die mit einem Rost aus Eisen oder Holz abgedeckt wurde. Eine Option, die ab dem 15. Jahrhundert für das Gebiet zwischen den südöstlichen Alpen und Skandinavien belegt ist (Dunst 2012: 60-61); Da Tiere diese Gitter kaum ohne Verletzungsgefahr überqueren konnten, verbreitete sich als Bezeichnung unter anderem der Begriff „Beinbrecher“ (Sörries 2016: 13-14). Weitere Namen waren bspw. Laurentiusrost oder Hexengitter. Der Name Laurentiusrost geht auf den hl. Laurentius zurück, der seiner Legende zufolge den Märtyrertod auf einem glühenden Gitterrost erlitt (Erzbistum Köln). Die Bezeichnung „Hexengitter“ hingegen deutet auf Vorstellungen des populären Glaubens hin. Man dachte, dass der Rost es Geistern, Dämonen, Hexen sowie Untoten unmöglich machte, dem Friedhof zu entrinnen, solange nur der schützende Kreis der Friedhofsmauer, durch den Rost überbrückt, geschlossen bleibt (Dunst 2012: 60-62). Mit der Anbringung verschließbarer Tore verloren diese Roste bald ihre Funktion, wurden größtenteils entfernt bzw. aufgeschüttet und gerieten in Vergessenheit.

Çakır, Filiz Gisa: Die Sepulkralkultur Deutschlands im Wandel. Vom Kirchhof zur Weltraumbestattung. Masterarbeit. Frankfurt (Oder) 2017.

Dunst, Jenny: Der Friedhof im Mittelalter – mit Beispielen aus dem Alpen-Adria-Raum. Diplomarbeit. Klagenfurt 2012.

Erzbistum Köln: Fakten über den heiligen Laurentius. URL: https://www.erzbistum-koeln.de/presse_und_medien/magazin/Laurentius-von-Rom-Der-Heilige-mit-dem-Rost/, 20. Juni 2023.

Mack, Jutta: Gesprächsnotiz vom 9. September 2022 (Pfarramt, Kirchengemeinde Wieseth).

Sörries, Rainer: Der Tod ist die Pforte zum Leben. Die Geschichte des Friedhofseingang vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Wiesbaden 2016.

Friedhof Wieseth

Reste, die auf dieses alte „Schutzgitter“ verweisen, sind kaum mehr zu finden. In Wieseth, einer kleinen Gemeinde im Landkreis Ansbach (Mittelfranken) lassen Befunde dieses jedoch als sehr wahrscheinlich annehmen.

Der dortige Friedhof datiert ins 15. Jahrhundert und wurde später an den Dorfrand verlegt und erweitert. Am Wegesrand zum neuen Teil des Friedhofes ist ein Gitter im Boden zu finden. Der Schacht darunter ist ungefähr 1,30m tief und der Rost ist 1,10m lang und 70cm breit. Dieser Rost ist allem Anschein nach deckungsgleich zum ehemaligen Friedhofseingang, zumal der gepflasterte Weg daneben den Verlauf der alten Friedhofsmauer markiert.

Leider liegen im zuständigen Pfarramt keine schriftlichen Quellen dazu vor, was eine eindeutige Bestimmung als „Laurentiusrost“ nicht erlaubt. Dennoch aber lassen die Überreste darauf schließen, eine letzten „Rest“ alten populären Totenglaubens vorliegen zu haben (Gespräch mit Jutta Mack vom 9. September 2022, Angestellte des zuständigen Pfarramtes).