Intern
Lehrstuhl für Altorientalistik

Exkursion ins Vorderasiatische Museum nach Berlin (30. Juni bis 3. Juli 2022)

Warum gibt es ein "Vorderasiatisches Museum" auf der Berliner Museumsinsel? Welche Umstände führten zu seiner Gründung, welche Personen standen hinter der Erbauung und Gestaltung der Ausstellung, die seit 1930 im Südflügel des Pergamonmuseums zu sehen ist? Wie gelangten die zahlreichen Artefakte und Bestandteile von Bauwerken aus dem damaligen osmanischen Reich und späteren Irak und Syrien nach Berlin? Mit welchen Herausforderungen hatte man bei der Rekonstruktion des Ischtar-Tors und der Prozessionsstraße von Babylon, oder beim Zusammensetzen der Großplastiken vom Tell Halaf nach den Zerstörungen des 2. Weltkriegs zu kämpfen? Das VAM Berlin und seine Sammlung haben eine bewegte Geschichte hinter sich, mit der wir uns in den vorbereitenden Seminarsitzungen zur Exkursion im Sommersemester 2022 eingehend beschäftigt haben.

Die online veröffentlichten Erwerbungsbücher  boten sich dabei zur archivarischen Spurensuche an: Die großen Lederfolianten reichen bis ins Jahr 1764 zurück und werden bis zum heutigen Tage sorgfältig mit Federhalter gefüllt. Sie dokumentierten zunächst Zugänge aus deutschen Privatsammlungen in die Königliche Kunstkammer und dann die Erwerbungen der 1899 gegründeten "Vorderasiatischen Abteilung" der "Königlichen Museen" bzw. "Staatlichen Museen zu Berlin". In den letzten Jahren waren es vor allem die großen Aufarbeitungsprojekte zu Assur und Babylon, die zur erstmaligen Einzel-Inventarisierung von Objekten führten.

Neben prominenten Erwerbungen des 19. Jhs., wie einer Stele Sargons II. aus Zypern, assyrischer Relieforthostaten aus Nimrud und Niniveh, oder einem großen Konvolut von Tontafeln aus dem ägyptischen Tell el-Amarna, stammt der überwiegende Teil der Objekte, der sich heute im Vorderasiatischen Museum befindet von archäologischen Grabungen zwischen 1888 und 1939. Daneben brachte man Abklatsche der Felsreliefs aus Yazilikaya (Türkei) und Nahr al-Kalb (Libanon) nach Berlin sowie Stelen und Artefakte aus dem Königreich von Urartu (Türkei, Armenien), so dass sich ein guter Überblick über die Vielfalt der Kulturen des alten Westasiens gewinnen lässt. Die kleine Sonderausstellung "Nebukadnezar im Sozialismus" bot zudem Einblick in die Museumsarbeit zur Zeit der DDR.

Eine Gruppe von zwölf Studierenden hatte sich in Referaten ausführlich mit der Gründungs- und Sammlungsgeschichte des Vorderasiatischen Museums beschäftigt, und insbesondere mit den Grabungen in Uruk, Assur, Babylon, Zincirli und Tell Halaf. Viele Funde aus diesen Orten konnten wir in Berlin endlich im Original sehen und in der Ausstellung gut informiert diskutieren.

Ein besonderes Highlight war der Besuch in den Restaurierungswerkstätten und im Depot des Archäologischen Zentrums. Gert Jendritzki gab uns detaillierte Einblicke in die Kunst der Metallrestaurierung. Dr. Helen Gries führte uns in die Rollsiegelsammlung des Museums ein und ermöglichte es uns Keilschrifttafeln aus drei Jahrtausenden im direkten Vergleich zu betrachten, darunter so berühmte Stücke wie der Mittani-Brief aus Tell el-Amarna oder Fragmente von Sargons 8. Feldzug. Die Menge der Funde, die im Keller in zahlreichen Vitrinenschränken aufbewahrt wurden, war für uns alle atemberaubend. Ein ausführliches Resumee der Ergebnisse aus dem vor Kurzem abgeschlossenen GlAssur-Projekt  durch Dr. Helen Gries, ließ die Geschichte der Glasurziegel in Assur und Babylon vor unseren Augen lebendig werden. Der Nachmittag des zweiten Tages war dem Museum für Islamische Kunst und der Sonderausstellung "Schliemanns Welten" gewidmet. Zwei voll gepackte und ausgesprochen lehrreiche Tage.

Und das sagen die Studierenden:

"Von unscheinbar wirkenden, unförmigen Gegenständen, verkrustet, von vielen  Lagen überdeckt zeugten die Fotos der Fundstücke aus den Grabungen, die in der Werkstatt landen. Herr Jendritzki trägt in unglaublich mühevoller  mechanischer  Arbeit die Konglomerat- und Karbonatschichten unter dem Mikroskop ab. Instrumente aus dem Dentallabor, Spatel, Pinsel und weitere feinmechanische Werkzeuge leisten dabei ihren Dienst. Der Restaurator berichtet, dass er an manchen Tagen oft nur einen halben Quadratzentimeter freilegen kann. [...] Besonders beeindruckt hat mich der Bericht von Frau Gries über die Forschungsarbeit zu den Glasurziegeln [...] Ein faszinierendes Erlebnis inmitten der unzähligen Schränke und Regalwände."

"Da steht man gemeinsam vor den urartäischen Inschriften und niemand kann Urartäisch. Dann liest man auf der Infotafel „X, Sohn des Y“ und beginnt aufgeregt, Personendeterminative zu suchen. Man findet die Personennamen, stellt verwundert fest, dass die Namen in der Form „dišX‑še dišY‑ḫi‑ni‑še“ geschrieben werden. Man vergleicht die anderen Inschriften – da ist das genauso – und beginnt in Assoziation des Hurritischen wie wild Morpheme zu postulieren: „še“ sei mit Sicherheit ein Ergativ, „ni“ eine Art Artikel, nach dem der Ergativ wieder aufgenommen wird und „ḫi“ eine Art Adjektivendung, also stünde dort wörtlich vielleicht „X, der Ytliche“, vielleicht auch etwas ganz Anderes. So ein Spaß!"

Und was hat noch beeindruckt?

 "... natürlich die Monumentalität der Asahaddon Stele, die gleichzeitig ganz fein und detailliert ausgearbeitet ist — eine bewundernswerte Leistung vor fast 3000 Jahren ...! "

Text: Elisa Roßberger