Intern
Lehrstuhl für Altorientalistik

Archäologische Forschungen zur Spätbronze- und Früheisenzeit in Westaserbaidschan

Im Wandel der Zeiten – Eine Neubewertung der materiellen Kultur Aserbaidschans in der Spätbronze- und Früheisenzeit

Die Kenntnis der materiellen Kultur der Spätbronze- und Früheisenzeit Westaserbaidschans (›Xocalı-Gədəbəy-Kultur‹), die etwa den Zeitraum vom 15. Jh. v. Chr. bis vermutlich zum Erscheinen der Achämeniden im Kaukasus (5. Jh. v. Chr.), stützt sich hauptsächlich auf Gräberfunde und einige wenige Siedlungsgrabungen. Ein erheblicher Teil der Funde stammt aus frühen Grabungen zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und der Mitte des 20. Jahrhunderts. Seitdem sind vor allem im Zuge großer Infrastrukturprojekte (v. a. durch den Bau der Baku-Tbilisi-Ceyhan Pipeline zwischen 2001 und 2005) sowie durch reguläre Grabungen in verschiedenen Regionen Westaserbaidschans weitere kleinere und größere Fundkomplexe hinzugekommen. Die ersten Versuche einer systematischen typologisch-chronologischen Untergliederung der Xocalı-Gədəbəy-Kultur reichen bis in die 1960er Jahre zurück (Минкевич-Мустафаева 1962). Es folgten weitere Abhandlungen mit Schwerpunkten auf der Keramik (Гусейнова 1989; 2011) sowie übergreifender Überlegungen zur Chronologie der Region (Погребова 2011).

Problematisch in allen diesen Untersuchungen ist, dass das Fundmaterial meist auf Basis isolierter, als chronologisch relevant erachteter Einzelfunde gegliedert und etwa gleich langen, absoluten Zeiträumen zugewiesen wurde. Auf eine relativchronologische Reihung der einzelnen Formen und Funde sowie deren Laufzeiten wurde weitgehend verzichtet, was sich letztlich im Fehlen einer dafür notwendigen übergreifenden Typologie des Materials widerspiegelt. Insgesamt mangelt es in der Fachliteratur zur Xocalı-Gədəbəy-Kultur an tragfähigen formenkundlichen Materialstudien, die eine fundierte Überprüfung der postulierten Chronologieabfolgen ermöglichen könnten. Vergleiche innerhalb der veröffentlichten Studien sind oft schwer nachzuvollziehen, da das Quellenmaterial in aller Regel nur selektiv vorgelegt wurde. Hinzu kommt, dass die Untersuchungen mitunter nur bestimmte Fund- oder Materialgruppen einschließen (z. B. Waffen, Gürtelbleche, Keramik), ohne die gesamte Zusammensetzung der in den Befunden vergesellschaften Fundstücke zu berücksichtigen oder darzustellen. Dadurch werden die Aussagemöglichkeiten der Befunde nicht ausgeschöpft und möglicherweise aussagekräftige Zusammenhänge simplifiziert oder übersehen. Eine derartige Tendenz macht sich ebenso in der Beurteilung größerer Gräberfelder bemerkbar, die bevorzugt nur einer einzigen Stufe eines Chronologieschemas zugeschrieben werden, ohne deren innere Gliederung zu berücksichtigen.

Projektziele

In Zusammenarbeit mit dem Milli Azərbaycan Tarixi Muzeyi und dem Arxeologiya, Etnoqrafiya və Antropologiya İnstitutu der Akademie der Wissenschaften in Baku werden die vor Ort im Archäologischen Archiv aufbewahrten Funde aus verschiedenen Altgrabungen neu aufgenommen und ausgewertet (finanziert durch die Gerda-Henkel-Stiftung). Dabei soll nach Möglichkeit der ursprüngliche Fundkontext der zumeist aus Gräbern stammenten Objekten wiederhergestellt sowie die Objekte in neuer Umzeichnung und fotografischer Dokumentation vorgelegt werden. Darüber hinaus werden als weitere Quellen bislang unveröffentlichte Grabungsberichte, Feldbücher und Archivmaterialien miteinbezogen. Den derzeitigen Schwerpunkt bilden die umfangreichen Ausgrabungen in Mingəçevir der 1940er und 1950er Jahre. Weitere Fundorte sollen zukünftig bearbeitet werden.

Die formenkundlich einheitliche Aufnahme der Altfunde sowie die Rekonstruktion der Kontexte und darin vergesellschafteten Funde soll auf lange Sicht die archäologischen Spuren der Spätbronze- und Früheisenzeit in Westaserbaidschan auf eine tragfähige Basis stellen. Dadurch soll sowohl der Zugang zu diesem umfangreichen Materialsfundus als auch dessen Einbindung in die Forschung zur Archäologie des südlichen Kaukausregion erleichert werden.

Zyklopische Strukturen

Neben Gräbern kennzeichnt eine monumentale Form der Steinarchitektur, sogenannte »Zyklopische Strukturen« den Siedlungsraum des Kleinen Kaukasus. Es handelt sich hierbei um auch über den Kleinen Kaukasus hinaus für die Spätbronze- und Früheisenzeit typische, meist aus sehr großen Steinblöcken errichtete Anlagen auf natürlichen Geländekuppen.

Ihre chronologische Einordnung in die Spätbronze- und Früheisenzeit stützt sich im Wesentlichen auf Begehungen und Sondagen in den 1930er und 1970–1980er Jahren hauptsächlich in den heutigen Rayons Gədəbəy und Daşkəsən. Trotz der langen Kenntnis und Erforschung dieser Denkmalgattung, von der alleine in den beiden genannten Regionen inzwischen über 120 bekannt sind, ist die genaue Lage der meisten Anlagen bislang nicht kartiert worden. Ebenso fehlen in der Regel genaue Pläne der oberflächlich anstehenden Mauern sowie deren topographische Einbindung in die Landschaft.

Erst Erkundungsarbeiten zur einer der größten dieser Anlagen, der sog. Paradiesfestung in der Nähe des heutigen Dorfes Qalakənd (Rayons Gədəbəy) fanden 2019 statt. Die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchungen vor Ort sowie die Auswertung von Satellitenbildern (finanziert durch die Carl Humann-Stiftung) zeigen, dass die Anlage komplexer aufgebaut war, als ursprünglich angenommen. Auch der Zweck dieser oft sehr nahe beieinander liegenden Bauwerke lässt sich bislang ebensowenig abschließend klären wie ihre genaue Datierung. Im Rahmen der Forschungen zur Spätbronze- und Früheisenzeit an der Universität Würzburg wird derzeit eine Kartierung und Bestandsaufnahme der bekannten zyklopischen Strukturen durchgeführt.